Historie-Spezial Fasnacht 2020


Die Fasnacht, die in die Geschichte eingeht…

© Heidy Fasler 2020

An den prachtvollen Wagen werden die letzten Pinselstriche ausgeführt; die Kostüme ein letztes Mal auf ihren Sitz geprüft; Piccolos eingestimmt und Trommelfelle gespannt; kurz, alles steckt mitten im Fasnachtsfieber und freut sich auf den 1. März…

Freitag, 28. Februar. Vormittag. Im Sekretariat des Fasnachtskomitees zeigt der Emailaccount einen Posteingang ein. An sich nichts Ungewöhnliches, so kurz vor der Fasnacht, aber der Inhalt ist höchst beunruhigend:
«Die Basler Fasnacht ist wegen dem Corona-Virus abgesagt, was läuft in Pratteln…?»
Das nächste Email: «Was machen wir mit den bestellten Orangen und Mimosen…?»
Der Posteingang blinkt im Minutentakt.
… «Sollen wir die Koffer packen und wegfahren?»
… «Die Räppli können wir ja nächstes Jahr noch verwenden, aber unser Sujet? Wir haben wochenlang dafür geschuftet und gekrampft…»
… «Können wir mit einer Verschiebung rechnen falls…?»
Auch beim Obmann läuft das Telefon heiss: «Was ist mit dem Butz, dem Fasnachtsfeuer und dem Fackelumzug? Können wir die alte Dorfturnhalle öffnen?»
«Abwarten, wir haben am Nachmittag eine Krisensitzung…», verströstet er alle.

Am Nachmittag sind die Verantwortlichen der traditionellen Fasnachtsanlässe im Schloss versammelt. Still und niedergeschlagen sitzt man in der Runde. Mit blutenden Fasnachtsherzen klammert man sich an das letzte Fünkchen Hoffnung, das bekanntlich erst mit der definitiven Absage stirbt. Aber DIE AUSSICHTEN SIND RABENSCHWARZ. Die Verordnung des Bundes vom Vormittag lautete: alle Veranstaltungen über 1000 Teilnehmer sind verboten, ab 200 braucht es die Bewilligung vom Kanton und darunter liegt die Entscheidung über die Durchführung bei den Veranstaltern. Entsprechend liegen die Nerven blank…
Als Stephan Burgunder, seines Zeichens Gemeindepräsident, mit einem spitzbübischen Lächeln erscheint, halten alle die Luft an.
Mit: «Zwei Meter Abstand, Begrüssungen nur mit Ellenbogen und ausser den Umzügen am Sonntag und Dienstag, konnte ich dem Kanton fast alles abringen», eröffnet er die Sitzung.
Man konnte kaum glauben, was man soeben gehört hat: in Pratteln DARF AUSSER DEN UMZÜGEN und den Aktivitäten in der alten Dorfturnhalle, FAST ALLES STATTFINDEN.
Gottlob waren der Präsi und Marcel Schaub als Sicherheitschef nicht vom Virus, sondern vom Fasnachtsfieber infiziert, denn alle anderen Bauernfasnachten der Region sind verboten worden; auch die Basler Regierung kuschte vor der Obrigkeit, die in der Stadt alles, was zur Fasnacht gehört, untersagte.
Die Erleichterung und Erlösung steht allen ins Gesicht geschrieben und die blanken Nerven entladen sich in Sprüchen und Spässen. Man ist wieder voll motiviert. Da das erwartete Fasnachtstrauma ausgeblieben ist, macht man sich glücklich daran, die Fasnachtsfäden neu zu spinnen. Unter dem Motto: «mir näme, was mir bechömme», verbreiteten sich diese Neuigkeiten wie ein Lauffeuer quer durchs Dorf.

Samstagvormittag: «Dr Butz fahrt uss» und führt vor dem Bürgermuseum einem Publikum, das sich kennt, aber in das sich eine kaum spürbare Abstandhaltung eingeschlichen hat, seine Tänze vor. Die Begrüssung mit Ellenbogen ist bereits schon usus.
Am Abend herrschte beim Schneemaa-Yhorne die übliche Druckete, nicht wegen dem strömenden Regen, der mehrere Personen unter einen Schirm zwängt, sondern wegen den angebotenen Köstlichkeiten der Los Pajasos-Damen! Damit niemand den Schneemann anstecken kann, trägt er zum Schutz eine Maske über der Rüeblinase.
Feierlichfröhlich stand man beisammen und diskutierte entweder die Kantonsverbote
oder lobte die Prattler Oberhoheiten für ihren mutigen Entscheid, der die Fasnacht dieses Jahr zu einer ganz besonderen Kostbarkeit werden lässt.
Abends ziehen Guggen musizierend von Beiz zu Beiz und man geniesst den Auftakt in vollen Zügen. Nur wenn sich einer zu husten getraut, wird er von misstrauischen Blicken ausgebremst, ansonsten dominiert eine herrliche Vorfasnachtstimmung wie schon lange nicht mehr.

Sonntagnachmittag. Warm und (noch) sonnig. Pünktlich auf vierzehn Uhr verteilen die Cliquen, unter Einhaltung der Sicherheitsabstände, ihre aufwändig gestalteten Wägen im Dorf, schenken einen Apéro aus oder verschenkten grosszügig das für den Umzug gedachte Wurfmaterial an das zirkulierende Publikum.
«Am Umzug ziehen wir am Publikum vorbei, heute ist es genau umgekehrt», lacht eine Cliquenfrau.
Das Fasnachtskomitee hatte die Obfrauen und Obmänner an diesem Nachmittag ins Schloss bestellt, um ihnen – nach ihrer Vorstellung in einer trockenen Zeremonie – die Zugsplaketten zu übergeben. Nicht im Traum hätte es sich vorstellen können, was dann passiert. Erst die CB-Schnooger, dann die Nachtfalterschränzer, zuletzt die Schoreniggeli und andere Cliquen, die sich daruntermischten, gestalteten den alten Schlosshof zu einem Fasnachtsparadies erster Güte. Es war mehr als das Ausbrechen in die fasnächtliche Welt, es war MAGISCH.

Auf dem Mayenfels wird am Abend das Fasnachtsfeuer entzündet, der Fackelumzug findet wie geplant statt und der Schneemann haucht auf seiner Richtstätte zu den «Tü-Tü-Tü-Tüüü»-Klängen der Horner lautstark sein Leben aus, während seine Seele mit den sprühenden Funken in den nächtlichen Fasnachtshimmel aufsteigt.
Danach sind die Beizen und Cliquenkeller proppenvoll. Schnitzelbänker und Guggen ziehen umher. Man befürchtet lediglich das Einbrechen von neidischen auswärtigen Zwangspausenfasnächtler in unser ‘gallisches’ Dorf, was zum Glück ausgeblieben ist.

Die für den Dienstag geplante Wagenburg wird durchgeführt und diszipliniert halten sich die Fasnächtler an die vom Fako vorgegebenen Anweisungen. Wird bei einem Guggenkonzert die Menschenansammlung zu gross, marschieren die Guggen musizierend weiter und ziehen die Menge so wieder auseinander.
Noch einmal geniesst man am Abend das fasnächtliche Treiben im Dorf in Hülle und Fülle, aber um Mitternacht war auch in Pratteln Schluss, Ende, Aus.

Das Fako ist seelig, alle Prattler Fasnächtler sind seelig, das Publikum ist seelig und für einmal sind sich alle einig, die Fasnacht 2020 ist einzigartig, etwas ganz Besonders und geht nicht nur wegen dem Coronavirus in die Geschichte ein.