Historie-Schneemaa


Ihre Prattler Fasnachts-Majestät > der Schneemann

© Heidy Fasler 2020

Jedes Jahr lockt der prächtige Schneemann, mit seiner beeindruckenden Grösse, Jung und Alt auf den Grossmattschulhausplatz, wenn er im Feuer – inmitten der musikalischen Hornerschar – lautstark sein Leben aushaucht.

Mit Lärm- und Feuerbräuchen vertrieb man früher die bösen Geister und den Winter. Zu den Feuerbräuchen gehören in Pratteln das riesengrosse Fasnachtsfeuer auf dem Mayenfels und der majestätische Schneemann. Beide Traditionen sind in Pratteln nicht mehr wegzudenken. Während der Brauch des Feuers in Pratteln seit Jahrhunderten zelebriert wird, entstand der Schneemann erstmals im Jahr 1923, nach einer Idee von Karl Strub, seinerzeit Präsident der Vereinigten Rader Pratteln. Über Jahrzehnte waren die Vereinigten Radler die Geburtshelfer des Schneemanns und haben ihn – mit wenigen Unterbrüchen – jedes Jahr aufs Neue zum Leben erweckt. Vor dem zweiten Weltkrieg war der Geburtsort in einer Scheune Ecke Mayenfelserstrasse/Zollmattweg, danach lange Jahre bei den Meyers, dann bei den Pfirters und zuletzt bei den Bielsers, alle an der Hauptstrasse.

In den Anfängen mussten die Materialien für den Schneemannbau zusammengebettelt werden und hatte man nichts anderes zur Verfügung, stibitzte man für das Gerüst bei der Schützenstube drei lange Bohnenstecken. Das kam aber nicht oft vor, denn von je her und bis heute stiftet die Schreinerei Schneider nicht nur das Holz, sondern schneidet es auch noch wunschgerecht zu. Statt der üblichen Jutesäcke waren damals alte Matratzen höchst willkommen. Zwar bedeutete das Auseinandernehmen eine mühsame Vorarbeit, aber der Matratzen-Drillichstoff ergab die ideale Hülle für den Schneemann. Mit AGA-Kalk, ein Abfallprodukt einer damals in Pratteln ansässigen Gasherstellungsfirma, wurde die Aussenhülle bepflastert und zu einem erkennbaren Schneemann geformt. Manch Kübel mit weisser Farbe wurde verbraucht, bis keine schwarzen Flecken mehr durchgeschimmert sind. Auch die Kracher im Schneemann, damals eher etwas grössere Raketen, fehlten nicht und konnten einfach bei der Drogerie Dalcher erworben werden.
Erst als man 1961 von der Firma Firestone mehrere grosse Leinwandbahnen auf Rollen erhielt, brachten diese den Erbauern eine gewisse Arbeitserleichterung. Denn die Stoffbahnen konnten direkt auf die idealen Masse für den Rumpf, die Arme und den Kopf zugeschnitten werden und seit 1966 zeigt sich der Schneemann in der heutigen stattlichen Grösse von rund fünf Metern. Für seinen üppigen Körper benötigt man rund 200 kg Stroh und 25 Quadratmeter Stoff.
Als Fasnachtsbuschi einst „nur“ halb so gross, konnte er lange Jahre am Fackelumzug auf einem Veloanhänger mitgezogen werden. Bis Anfang der Achtzigerjahre zog Paul Trüssel den Schneemann mit seinem Zweirad-Motorgefährt am Fackelumzug durchs Dorf. Bei einer Stockete auf der Umzugsroute, auf der Höhe des ehemaligen Restaurants Weiermatt, stellte er den Motor ab und brachte ihn nicht mehr in Gang. Nur mit Schieben und Murksen traf der Schneemann dann doch noch rechtzeitig an seinem Bestimmungsort ein. Die Lösung kam von Hans Gogel, der einen Metallwagen baute, der von Hand gezogen werden konnte, aber einmal verklemmte sich der Schneemann auf dem Wagen und konnte nicht mehr heruntergehoben werden, so dass man ihn samt Wagen verbrannte.

Im Jahr 2007 legten die Vereinigten Radler den Schneemannbau, der in der Bürgschaft des VVP steht, in die Hände der Pajasos mit Peter Bärfuss als Obmann. Es ist den Pajasos zu verdanken, dass sie die mündlichen Überlieferungen auf Papier brachten und die Baupläne für alle Zeiten festgehalten haben.
Noch immer wird das Gerüst so auf den Wagen gebaut, dass der Schneemann einen stabilen Körper und einen guten Stand erhält. Steht der Vorbau, wird dem Gerüst die Hülle für den Rumpf übergezogen und das Innere mit Stroh gefüllt. In Brusthöhe werden die Kracher einzeln montiert und angebunden. (Beim Abbrennen am Sonntagabend werden alle wegspickenden Teile kontrolliert und die explodierenden Kracher genau gezählt.) Erst zuletzt erhält der Schneemann seinen Kopf, der wie die Arme am Rumpf angenäht werden muss und jeder Stich muss sitzen, wehe, die Nase hängt nach unten. Den Zylinderhut von fast einem Meter Höhe, erhält der Schneemann im letzten Moment, damit er aus Sicherheitsgründen bis zuletzt in geschlossenen Räumlichkeiten verwahrt werden kann.

Am Abend des Fasnachtssonntag erhält der Schneemann endlich seinen grossen Auftritt und wird, begleitet von Trommel-, Piccolo-, Horner und Chläbber-Klängen, mit dem Fackel- und Laternenumzug durchs Dorf und zu seiner Richtstätte vor dem Grossmattschulhaus geführt und von den Fackelträgern in Brand gesteckt.
Im Jahr 2019 herrschten am Fasnachtssonntag so stürmische Winde, dass er nur im Beisein der Feuerwehr abgebrannt werden durfte, was ein Jahr später zum lokalen Fasnachtssujet wurde.
Wenn die Flammen langsam am Schneemann emporzüngeln und ihm die Horner mit ihrem „tu tu tu tuuu“ eine letzte Ehre erweisen, wechselt beim Publikum die Bewunderung zum Interesse, wie laut und stark die Kracher den Boden und die umliegenden Gebäude erzittern lassen. Die Detonationen übertönen dabei die Seufzer des Schneemanns, der bedauert, dass seine majestätische Pracht nur gerade einen Umzug lang zu bewundern war, während seine Seele in glühenden und tanzenden Funken in den nächtlichen Fasnachtshimmel aufsteigt.